Der Sozialstaat war im 19. Jahrhundert noch sehr schwach ausgebaut. Frauen und Töchter sprangen in die Lücke und begannen, mit grossem Engagement viel Not zu lindern.
Am 5. Februar 1874 bildeten zehn Frauen den Vorstand eines neuen Vereins und setzten die Statuten fest. Pfarrer Alois Risi und Dorfarzt Dr. Jost Huber-Winkler hatten sie angeregt, den «Frauen- und Töchterverein von Küssnacht» zu gründen. Jost Huber war schon im Jahr vorher an der Gründung der Sparkasse Küssnacht beteiligt, um Ersparnisse sicher anlegen zu lassen und Handwerkern und Bauern notwendige Kredite zur Verfügung zu stellen.
In der wirtschaftlich schwierigen Zeit der 1870er Jahre war zudem die Not der internierten Soldaten vor aller Augen zu sehen gewesen: Im Februar 1871 wurden als Folge des Deutsch-Französischen Krieges im Hirschmattschulhaus (heute Rathaus 2) siebzig junge Franzosen interniert, zum grossen Teil krank und verwundet. Eine ganze Gruppe von Küssnachter Frauen übernahm die Pflege und die Versorgung der Soldaten. Diese waren für die Hilfe sehr dankbar. In den folgenden Jahren wurde klar: Man möchte auch den einheimischen Bedürftigen tatkräftig helfen.
Die ersten Statuten
Der Zweck des neuen Vereins wurde umschrieben mit «Unterstützung der Armen, besonders armer schulpflichtiger Kinder und Kranker». Wichtig auch für die Zukunft des Bezirks war die Bestimmung: Der Verein richtet «sein Augenmerk insbesondere auf arme Schulkinder, um sie mit den notwendigen Kleidern zu versehen und dadurch ihnen einen ununterbrochenen fleissigen Schulbesuch zu ermöglichen.»
Ausschnitt aus den ersten Statuten vom 5. Februar 1874
Die Mitglieder zahlten ein Eintrittsgeld von 5 Franken und jährlich zwei Mal einen Beitrag von je 1 Franken. Zudem versuchten sie Geld- und Kleiderspenden zu erhalten. Drei Jahre nach der Gründung gab es bereits 65 zahlende Frauen, 1898 schon 117. Die Kasse diente vor allem auch dazu, Brot, Milch und Schuhe zu kaufen und an Bedürftige abzugeben.
Einsatz gegen die soziale Not
Seit 1887 beschäftigte der Verein eine Frau Gössi als Krankenpflegerin. Die Spitäler waren noch wenig ausgebaut, man versuchte die Kranken wenn immer möglich zu Hause zu pflegen. Eine Fachkraft war daher hochwillkommen. Während des Ersten Weltkrieges wurde eine zweite Krankenschwester angestellt.
In den Pandemiejahren 1918 und 1919 wurden über 250 Personen in der Pflege der Grippeopfer unterwiesen, und 1922 wurde ein erster Krankenpflegekurs organisiert. Nach dem Krieg sammelten die Frauen verschiedenste Gaben, vor allem auch Kleider, für die notleidende Bevölkerung in Vorarlberg.
Der erste Kindergarten im Frühjahr 1902
Eine weitere wichtige Aufgabe erfüllte der Verein ab 1902: Er gründete den ersten Kindergarten des Bezirks. Die damalige Kindergärtnerin, Fräulein Babette Ulrich, betreute bald mehr als vierzig Kinder. Die Betreuung wurde mit den Jahren stark ausgebaut. Erst 1972 übernahm der Bezirk definitiv diese Aufgabe vom Frauenverein.
Auch die hauswirtschaftliche Fortbildung von Mädchen und jungen Frauen leistete ab 1920 der Verein und verhalf so vielen Familien zu besseren Verhältnissen zu Hause. Die Fortbildungsschule wurde 1971 an den Bezirk übergeben.
Neuer Name
1914 wurde in Küssnacht die «Marianische Kongregation» gegründet, speziell für junge Frauen. Daher traten im Verlaufe der nächsten Jahre die jüngsten Mitglieder des «Frauen- und Töchtervereins» in die neue Organisation ein. Der bisherige Verein änderte daher seinen Namen 1919 in «Frauen- und Mütterverein».
1940 wurde in Immensee ein selbstständiger Frauen- und Mütterverein gegründet, der heutige «Frauenkreis Immensee». Der Verein in Küssnacht wechselte 1974 seinen Namen zu «Frauen- und Müttergemeinschaft» (FMG) und 2007 zu «frauennetz küssnacht merlischachen».
Hilfe in Kriegszeiten
In den schwierigen Zeiten der Wirtschaftskrise und des Zweiten Weltkrieges unternahmen die Frauen neue Anstrengungen, um Mitbürgern zu helfen: 1939 wurde eine Suppenanstalt eingerichtet und die «Soldatenfürsorge» begründet (etwa mit Socken stricken und spenden).
Nähkurse waren lange Zeit sehr beliebt.
Die Weiterbildung konnte vielen Frauen helfen: In Säuglingspflegekursen, in Näh- und Bastelkursen wurde jungen Frauen gezeigt, wie man selber seine Lage verbessern konnte. 1949 wurde eine Familienhelferin (siehe Titelbild) angestellt, die vielen kinderreichen Familien Entlastung brachte.
Ermöglicht wurden diese Hilfen auch durch besondere Beiträge von Privaten und Firmen. 1948 spendete die Glashütte Siegwart 4500 Franken.
Neue Bedürfnisse
In den letzten Jahrzehnten gab der Verein frühere Aufgaben zum Teil ab, übernahm aber neue dazu: Von der Mütterberatung zur Mütter- und Väterberatung, zum Kinderhütedienst und zur Betagtenfürsorge. Schliesslich wurden auch Spielgruppe und Ludothek, Vorträge und Exkursionen wichtig.
Verbunden geblieben mit der Kirche ist der Verein von der Gründung bis heute: Regelmässig werden Gottesdienste angeboten.
Was Männer und Frauen vor 150 Jahren begründeten, hat im Lauf der Jahre ein riesiges Engagement für die ganze Gesellschaft des Bezirks Küssnacht hervorgebracht. Über 1000 Frauen engagieren sich im Jubiläumsjahr 2024 für das frauennetz. Die Mitglieder feiern die erfolgreichen 150 Jahre: Die Jubiläums-Generalversammlung fand am 13. März statt.
Für den Historischen Verein Küssnacht: Bruno Thurnherr
Quellen
Auf dem Weg durch die Zeit 1874 – 1974: Hundert Jahre Katholischer Frauen- und Mütterverein Küssnacht am Rigi. (1974) Aus diesem Werk stammen die Bilder des Frauenvereins.
Freier Schweizer 11.2. und 18.2. 1949: 75 Jahre Frauenverein
Küssnachter Geschichten Heft 3: Kriegszeiten in der Landschaft Küssnacht (2023)
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